Postinfektiöse Erschöpfung – das Post-COVID-19-Syndrom
Ein bekanntes Phänomen: Müdigkeit und Erschöpfung nach viralen Infektionen
Seit Langem ist bekannt, dass virale Infektionen auch nach der Genesung noch zu chronischer Müdigkeit und Erschöpfung führen können. So beispielsweise beim Pfeifferschen Drüsenfieber (Mononukleose): Die durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) hervorgerufene Erkrankung führt gemäss der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin bei durchschnittlich 40 % der Patienten mit einer positiven EBV-Serologie noch nach einem halben Jahr zu körperlicher Müdigkeit und Erschöpfung.
Aber auch bei anderen Atemwegserkrankungen beträgt der Anteil der Patienten mit postinfektiöser Erschöpfung noch 15 %.1 Insofern ist das nun nach COVID-19-Infekten aufgetretene Post-COVID-19-Syndrom nicht ganz neu und überraschend.
Post-COVID-19-Symptome: Häufigkeit und Zeitdauer
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse2 zeigt, dass 12 Monate nach einer COVID-19-Infektion folgende Symptome am häufigsten persistierten:
- Müdigkeit/Erschöpfung
- Atembeschwerden
- muskuloskelettale Symptome (Arthromyalgie)
- Depressionen, Angstzustände
- Gedächtnisverlust, Konzentrationsschwierigkeiten
- Schlaflosigkeit
Frauen, jüngere Menschen und Patienten mit schwereren Infektionssymptomen (Krankenhauspatienten, Intensivpflege) waren dabei häufiger von den postinfektiösen Symptomen betroffen.
Berechnungen zufolge sollen in der Schweiz in den Jahren 2020 und 2021 etwa 73’000 Menschen von Post-COVID-19 betroffen gewesen sein3.
Post-COVID-19 – eine Mitochondriopathie?
Das SARS-CoV2-Virus gelangt über den ACE2-Rezeptor in die Wirtszellen (Atemwege, Endothel, Nieren, Magen-Darm-Trakt, ZNS). In den Zellen kann das Virus zu grundlegenden Störungen im mitochondrialen Stoffwechsel führen, die vermutlich wesentlich zu Post-COVID beitragen. Dazu gehören:
- vermehrte Bildung proinflammatorischer Zytokine
- vermehrter oxidativer und nitrosativer Stress
- Schäden an der mitochondrialen DNA
- erhöhter respiratorischer Dysstress
- endotheliale Dysfunktion (NO-Synthese, Gefässtonus, Blutdruck, Thrombozytenaggregation)
- immunologische Dysfunktionen
- Beeinträchtigung diverser Biosynthesevorgänge (Coenzym Q10, Cholesterin, Vitamin D, Steroide)
- EBV-Aktivierung
Post-COVID-19: Körperliche Aktivität, Ernährung und Supplementierung mit Mikronährstoffen
Körperliche Aktivität
Post-COVID-19-Patienten scheinen von einer – von Fachpersonen kontrollierten und dosierten – körperlichen Aktivität zu profitieren.
Wichtig ist hierbei, auf speziell geschulte Therapeuten (z. B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten) zu setzen, da oft ein sogenanntes «post-exertional malaise» beschrieben wird, d. h. eine Verschlechterung der Symptomatik nach zu starker körperlicher Anstrengung.
Ernährung
Ein Review4 liefert eine Übersicht über die aktuelle Evidenz von möglichen Einflüssen von Ernährungsfaktoren beim Post-COVID-19-Syndrom.
Dabei stehen möglichst individuelle Ernährungsempfehlungen im Mittelpunkt, welche die Patienten hinsichtlich Malnutrition, Verlust von Muskelmasse, Appetitverlust, Geruchs- und Geschmacksbeeinträchtigung, aber auch bei Übergewicht usw. optimal unterstützen können.
Eine mediterrane Ernährungsweise scheint generell hilfreich zu sein. Sie enthält natürlicherweise Lebensmittel mit einem hohen Anteil an sekundären Pflanzenstoffen mit entzündungshemmenden und immunmodulierenden Eigenschaften. Wenn Mahlzeiten durchschnittlich aus 50 % Gemüse (und Früchten), 25 % proteinreichen Lebensmitteln und 25 % komplexen Kohlenhydraten mit niedriger glykämischer Last bestehen, hat man meistens bereits vieles richtig gemacht.
Mikronährstoff-Supplementierung
Zu konkreten Auswirkungen einer begleitenden Supplementierung von Mikronährstoffen bei Post-COVID-19 gibt es momentan noch keine grösseren Studien.
Die Gabe eines ausgewogenen Multivitamin-Mineral-Präparates scheint in der Regel sinnvoll zu sein. Rekonvaleszenz, Müdigkeit und Erschöpfung nach Krankheiten und Infekten gehören zu den zugelassenen Indikationen für solche Präparate.
Weitere Mikronährstoffgaben sollten hinsichtlich Auswahl und Dosierung möglichst gezielt vorgenommen werden. Hierfür können vorgängige Laboranalysen hilfreich sein. Je nachdem werden dann mithilfe einer Fachperson individuelle Schwerpunkte bei der Supplementierung gesetzt:
Zielfunktionen und mögliche Supplemente
Funktionen / Indikationen |
Mögliche Supplemente |
Mitochondrienstoffwechsel allgemein |
Coenzym Q10, L-Carnitin, Magnesium, Vitamin-B-Komplex, N-Acetylcystein, alpha-Liponsäure |
Reduktion des mitochondrialen oxidativen und nitrosativen Stresses |
Coenzym Q10, L-Carnitin, Vitamin-B-Komplex, Vitamin C, Magnesium, Eisen, Selen, N-Acetylcystein, alpha-Liponsäure
|
Grundbausteine für die Regeneration von zellulären Energieträgern |
Ribose |
Verbesserung der Endothelfunktion |
L-Arginin, L-Citrullin, Taurin, Vitamin C
|
Antiinflammatorische Wirkung |
Omega-3-Fettsäuren (EPA, DHA), Vitamin D, Vitamin A, Vitamin K2, Curcumin
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Unterstützung des Immunsystems |
Vermeiden von Mikronährstoffdefiziten |
Fazit
Müdigkeit und Erschöpfung nach Infektionen sind keine unbekannten Phänomene. Post-COVID-19-Patienten sind von diversen Stoffwechselstörungen betroffen. Dabei spielen vermutlich vor allem auch Mitochondriopathien eine zentrale Rolle. Körperliche Aktivität, Ernährung und Supplementierung von Mikronährstoffen sollten von Fachpersonen möglichst individuell festgelegt werden. Dabei scheinen eine konsequente mediterrane Ernährungsweise und zumindest eine Basissupplementierung mit einem ausgewogenen Multivitamin-Mineral-Präparat sinnvoll zu sein.
Literatur
1 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), DEGAM-Leitlinie Nr. 2: Müdigkeit, omikron publishing, Düsseldorf 2011. ISBN-13: 978-3-936572-11-7.
2 Han Q et al. Long-term sequelae of COVID-19: a systematic review and meta-analysis of one-year follow-up studies on Post-COVID symptoms. Pathogens. 2022;11:269.
3 Walter N. Langzeitfolgen von Corona: 73’000 Menschen sind in der Schweiz von Long Covid betroffen. Tages-Anzeiger. 31.05.2022.
4 Barrea L et al. Dietary recommendations for Post-COVID-19 syndrome. Nutrients.2022;14:1305.